Probiotika vs. Sauerkraut (Update 2024)

Probiotika vs. Sauerkraut
Was haben Probiotika und Sauerkraut auf einer Stillberatungsseite zu suchen? Eine gute Frage!

Zunächst einmal stelle ich seit einigen Jahren selbst traditionelle fermentierte Lebensmittel her, für meine Familie und mich. Fundierte Informationen und Anleitungen zur Herstellung von Milchkefir und anderen Fermenten wie Sauerkraut oder Kimchi findet man z.B. unter https://www.wildefermente.de/

Was die Stillberatung angeht, so kommt auch hier das menschliche Mikrobiom immer stärker in den Blick: sei es beim Einfluss der mütterlichen Ernährung auf das Baby im Bauch, der Besiedelung des Darms in Abhängigkeit vom Geburtsweg, dem Stillen als physiologischer Ernährung des Babys und Kleinkindes, dem Einsatz von Milchsäurebakterien bei Brustentzündungen, oder auch bei einer mikrobiom-freundlichen Beikost. Ich bin gespannt, was die Forschung dazu in den nächsten Jahren noch herausfinden wird!

Die Industrie schläft natürlich nicht, und bietet diverse kostspielige Produkte an, die man sich aber leicht sparen kann, wie der folgende Vergleich zeigt:

Ein kleiner Vergleich zwischen Sauerkraut und käuflichen Probiotika

In einem Fachartikel von 2007 wird die Menge an Laktobazillen in Sauerkraut mit 100 Millionen bis eine Milliarde pro Gramm angegeben (10(8) - 10(9) KBE/g, KBE: koloniebildende Einheiten). Aus einem Kohlkopf kann man mit wenig Aufwand einen Liter Sauerkraut herstellen: Kohl kleinschneiden, mit 2% Salz verkneten, in ein Bügelglas/Weckglas füllen, beschweren, Glas verschließen, ein paar Wochen warten, fertig. Wenn man davon einen halben Teelöffel (2,5 ml) isst, bekommt man in etwa zweieinhalb Milliarden Laktobazillen. Das Glas mit dem Sauerkraut reicht auf diese Weise für ein ganzes Jahr. Die Kosten sind weniger als 2 EUR, für den Kohlkopf und etwas Salz.

Die Tagesdosis käuflicher Probiotika liegt bei 2-3 Milliarden Keime pro Tag. Wenn man Sonderangebote nutzt, liegen die Kosten am Jahresende zwischen 250 und 300 EUR.

Für mich ist Werbung für Probiotika etwas Ähnliches wie Werbung für Säuglingsnahrung. Das Original - in dem Fall Sauerkraut, Salzgurken, Kefir, Kimchi u.s.w. - ist gesünder, nachhaltiger, lebendiger, genussvoller. Da man mit Selbstgemachtem aber nicht in großem Stil Geld verdienen kann, gerät es leicht in den Hintergrund oder in Vergessenheit.

Plengvidhya et al. (2007), "DNA Fingerprinting of Lactic Acid Bacteria in Sauerkraut Fermentations", Applied and Environmental Microbiology Nov 2007, 73 (23) 7697-7702; DOI: 10.1128/AEM.01342-07 https://aem.asm.org/content/aem/73/23/7697.full.pdf

Und nochmal käufliche Probiotika - (Wie) Funktionieren sie?

Ein Statement zu Probiotika vom Wissenschaftsjournalisten Jörg Blech, in SWR2-Wissen am 19.1.2020:

„Die Idee ist, man nimmt Lebensmittel, die gute Bakterien enthalten, zu sich, dann nimmt man die auf und die Bakterien wachsen im Darm weiter, und das hilft uns. Das ist skeptisch zu sehen. Einerseits enthalten diese Produkte ja auch oft nur einen Bakterienstamm, und wir brauchen aber eigentlich Hunderte verschiedene Stämme, und es ist schon mal nicht plausibel, dass dieser eine Bakterienstamm sich überhaupt so festsetzen kann und alles zum Guten verändert.“

„Deswegen habe ich den Eindruck, sollte man, wenn man denn die Darmflora verändern will, darauf achten, dass man einfach seine Ernährung umstellt.“

Ehrlich, so ganz einfach ist es nicht, die Ernährung umzustellen. Aber unser Körper ist so komplex, dass es anders nicht funktionieren wird. Nur meine Meinung.
21.4.2021

Update Februar 2024

Nachdem fast drei Jahre vergangen sind, hat sich die Situation nicht grundlegend geändert. Zwei Zitate von Timothy Caulfield, einem kanadischer Professor für Gesundheitsrecht und -politik.

Zunächst über den positiven Einfluss einer vielseitigen Ernährung auf das Mikrobiom:

"I think that a lot of the microbiome research really emphasizes the value of a healthy diet. Now I told you it was going to be boring and obvious but I think it does. You know,
  • eating a a variety of foods,
  • lots of fruits and vegetables,
  • healthy fibers,
  • fermented foods. 
I think it it backs up the value of doing that, and I think that is not trivial. Right? I think that's meaningful."

Und über einen Selbstversuch, in dem Caulfield den Einfluss einer strengen Diät auf sein eigenes Mikrobiom testete. Ergebnis: das Mikrobiom änderte sich nur übergangsweise, nach Ende der Diät kam es in seinen Ausgangszustand zurück. In seiner Stabilität erinnere das Mikrobiom ein wenig an einen Fingerabdruck:

"And I went on Gwyneth Paltrow's extreme, extreme diet to find out if my microbiome changed. And you could probably guess what happened. Right? You know, I did it before and after, and it does change. But it goes back. Right? Unless you maintain this unhealthy, restrictive diet... it's almost like a fingerprint. I don't want to overemphasize the degree to which that's the case, but you do kind of go back to what your microbiome kind of portfolio is after you stopped, and no one can maintain nor should you maintain these crazy diets."

Quelle: Transkript des Podcasts "Rethinking Wellness" von Christy Harrison, MPH, RD
Titel: "Why the Gut-Health Trend Is Mostly Empty Hype with Timothy Caulfield" vom 12.2.2024
https://rethinkingwellness.substack.com/p/microbiome-myths-and-realities-timothy
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